Grundsätzlich sind schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch einen Sonderkün-digungsschutz vor Kündigungen geschützt.
Der Sonderkündigungsschutz zeichnet sich dadurch aus, dass vor der Beendigung eines Arbeitsverhält-nisses mit einer schwerbehinderten Person die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt werden muss, vgl. § 168 SGB IX.
Holt der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamtes nicht ein, obwohl er von der Schwerbe-hinderung des Arbeitnehmers weiß oder sich diese offensichtlich aufdrängt, so ist die Kündigung ge-mäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 168 SGB IX nichtig.
Ist dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft nicht bekannt und drängt sich diese nicht ge-radezu auf, ist er zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft auf die Mitwirkung des Arbeit-nehmers angewiesen. Hierzu werden in der Regel Fragebögen verwendet, beispielsweise bei beabsich-tigten Massenentlassungen. Teilweise werden diese Fragebögen auch bereits bei der Einstellung ver-wendet.
Über einen solchen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden (vgl. BAG Urt. v. 16.02.2012 – 6 AZR 553/10).
Der Fall zeichnete sich dadurch aus, dass der Arbeitgeber eine Vielzahl von Arbeitnehmern zu entlassen beabsichtigte. Hierzu wurden in den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Fragebögen vorgelegt, in denen sie u. a. angeben mussten, ob eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung vorliegt. Der be-troffene Arbeitnehmer wies tatsächlich einen GdB von 60 auf und war damit schwerbehindert. Auf dem Fragebogen verneinte er allerdings eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung.
Daher ging der Arbeitgeber davon aus, dass in der Person des Arbeitnehmers keine Schwerbehinde-rung vorlag und erklärte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer erhob daraufhin fristgerecht innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Kündigungsschutzklage und teilte in der Klageschrift seine Schwerbehinderteneigenschaft mit.
Der Arbeitnehmer und nunmehrige Kläger war der Auffassung, dass das Integrationsamt hätte beteiligt werden müssen. Der Arbeitgeber hätte nicht nach der Schwerbehinderung fragen dürfen, da dies eine verbotene Benachteiligung i. S. d. §§ 1, 7 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darstelle.
Mit dieser Begründung hatte der Kläger vor dem Arbeitsgericht zunächst Erfolg. Der Arbeitgeber zog daraufhin vor das Landesarbeitsgericht, dass die Kündigungsschutzklage des Klägers abwies.
Das BAG hat auf die Revision des Klägers hin wie folgt entschieden:
Indem der Kläger sich auf eine zunächst bestrittene Schwerbehinderteneigenschaft berief, verhielt er sich widersprüchlich im Sinne von § 242 BGB mit der Folge, dass sein widersprüchliches Verhalten aus-nahmsweise unbeachtlich war. Grundsätzlich ist widersprüchliches Verhalten im Rechtsverkehr zuläs-sig. Eine Ausnahme gilt dann, wenn der andere Teil im Vertrauen auf vorheriges Verhalten des Erklä-renden bereits Dispositionen getroffen hat. Nach Auffassung des BAG habe der Kläger seinen Arbeit-geber in dem Glauben darin bestärkt, dass bei ihm keine Schwerbehinderung vorliege und daher kein Sonderkündigungsschutz bestehe. Der Kläger könne nicht einerseits behaupten, er sei nicht schwerbe-hindert und andererseits den Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte in Anspruch nehmen wollen.
Der Arbeitgeber des Klägers habe auch einen Anspruch auf die wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft gehabt.
Nach Auffassung des BAG hat der Kläger gegen die nebenvertragliche Rücksichtnahmepflicht versto-ßen. Hiernach sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verpflichtet, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Die Rücksichtnahmepflichten dienen dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks.
Aus dieser nebenvertraglichen Rücksichtnahmepflicht folge, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer explizit nach einer Schwerbehinderung fragen dürfe um feststellen zu können, ob gegebenenfalls ein Sonderkündigungsschutz besteht. Den Arbeitnehmer trifft also eine Auskunftspflicht. Hintergrund ist, dass der Arbeitgeber bei einer ordentlichen Kündigung im Rahmen der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG eine Schwerbehinderung berücksichtigen muss. Dies kann der Arbeitgeber aber nur, wenn er Kenntnis von der Schwerbehinderung hat.
Die Frage nach der Schwerbehinderung stelle keine Benachteiligung des Klägers dar, da er durch die Schwerbehinderteneigenschaft einen Vorteil, nämlich den Sonderkündigungsschutz, erlange.
In jedem Fall sei die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft zulässig, wenn das Arbeitsverhält-nis bereits länger als 6 Monate ununterbrochen bestanden habe. Erst nach Ablauf dieser Frist erwirbt der Schwerbehinderte den Sonderkündigungsschutz, vgl. § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX.
Da der Arbeitnehmer die Frage wahrheitswidrig damit beantwortet habe, bei ihm läge keine Schwer-behinderung vor, durfte der Arbeitgeber dies als wahr unterstellen.
Der Arbeitgeber sei auch nicht verpflichtet, einen sogenannte Negativtest einzuholen. Hierbei handelt es sich um eine Bescheinigung des Integrationsamtes darüber, dass keine Schwerbehinderung vorliegt. Gerade im Zusammenhang mit Massenentlassungen stelle ein solches Erfordernis einen unverhältnis-mäßigen Aufwand für den Arbeitgeber dar und sei daher abzulehnen.
Verschweigt der Arbeitnehmer seine Schwerbehinderteneigenschaft um sich sodann im Zusammen-hang mit der Kündigung darauf zu berufen, kann dies als widersprüchliches Verhalten im gewertet werden mit der Folge, dass der Sonderkündigungsschutz enthält.
Im Ergebnis ist schwerbehinderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dringend anzuraten, auf ihre Schwerbehinderteneigenschaft rechtzeitig hinzuweisen. Spätestens sollten solche Angaben auf Fragebögen im Zusammenhang mit Massenentlassungen getätigt werden. Der Sonderkündigungs-schutz kann nur durch den Arbeitgeber berücksichtigt werden, wenn der Arbeitgeberkenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft hat.