Einer Krankschreibung kommt ein hoher Beweiswert dafür zu, dass die Erkrankung des Arbeitsnehmers tatsächlich vorgelegen hat. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2021 ist dieser Beweiswert jedoch erschüttert, wenn sich der Arbeitnehmer nach Erhalt der Kündigung exakt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses krankmeldet. Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachen ist jedoch auch die zeitliche Abfolge zu berücksichtigen, Urteil vom 08.03.2023, Az. 8 Sa 859/22.
Das Landesarbeitsgericht hatte über den Fall eines Arbeitnehmers bei einer Zeitarbeitsfirma zu entscheiden. Nachdem dieser von seinem Arbeitsgeber längere Zeit nicht eingesetzt wurde, reichte er am 02.05.2022 eine Krankmeldung für die ganze Woche ein. Noch am gleichen Tag unterschrieb der Arbeitgeber die Kündigung, welche dem Arbeitnehmer am 03.05.2022 zugestellt wurde. Anschließend meldete sich der Arbeitnehmer weiterhin krank. Er reichte zwei Folgebescheinigungen ein, sodass er am Ende bis zum Ablauf der Kündigungsfrist krankgeschrieben war. Der Arbeitgeber bezweifelte die Echtheit der Erkrankung und zahlte dem Arbeitnehmer keinen Lohn für den Krankheitszeitraum.
Das Landesarbeitsgericht widersprach der Ansicht des Arbeitgebers: Der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung komme ein hoher Beweiswert zu, dass die Erkrankung tat-sächlich vorgelegen habe. Der vom BAG im Jahr 2021 entschiedene Fall sei mit dem hiesigen nicht vergleichbar. Das BAG hatte entschieden, dass der Beweiswert eines Attestes insbesondere dann erschüttert sein könne, wenn eine sog. zeitliche Koinzidenz vorliege. Diese sei dann gegeben, wenn sich ein Arbeitnehmer am Tag seiner eigenen Kündigung krankschreiben lässt und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genau den Zeitraum bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses umfasst
Nach Ansicht des LAG sei der vorliegende Fall jedoch anders zu bewerten. Es sei zu berücksichtigen, dass die Krankschreibung zeitlich vor Ausspruch der Kündigung erfolgt war. Die Krankschreibung selbst sei also nicht durch die Kündigung motiviert gewesen. Zudem hätte es nicht nur eine einzige, sondern insgesamt drei Atteste bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses gegeben. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer einen Tag nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses wieder arbeitsfähig war und die Arbeit bei einem anderen Arbeitgeber wieder aufgenommen hätte, führe zu keiner anderen Bewertung.
Das LAG hat jedoch die Revision zum BAG zugelassen, denn dieses habe noch nicht hinreichend geklärt, unter welchen Umständen konkret der Beweiswert der Ar-beitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert wird. Es bleibt daher abzuwarten, wie das BAG den Fall bewertet.